Meine Freundin Bärbel
Am 12. Juli 2002 begann die abenteuerliche Flucht der Fähe Bärbel aus ihrem Gehege im Klingenthaler Tierpark (Vogtland), nur wenige Stunden, nachdem sie aus einem bayrischen Wolfsgehege umgesiedelt worden war. Sie durchbiss ein Stahlseil und konnte so aus dem vermeintlich ausbruchsicheren Freigehege entfliehen. Alle Versuche den Flüchtling zu fangen scheiterten, trotz Einsatz von Narkosegewehren, Fangnetzen, Käfigfallen und leckeren Fleischködern.
Das Tier schien mit der Neugewonnenen Freiheit gut zurechtzukommen und lernte schnell, wie man außerhalb eines Wolfsgeheges Nahrung findet. Allerdings, Ende August riss die Fähe erstmals fünf Schafe. Kurzzeitig verschärfte sich der Ton der Verantwortlichen, da "durch das Tier die öffentliche Sicherheit bedroht ist". Da waren sie wieder, die alten Feindbilder. Selbst die Erbeutung eines Huhnes fand nun ihren Weg in die Zeitung. Gegenüber Menschen zeigte sich das scheue Tier niemals aggressiv.
Bärbels Dilemma: Sie war in einem Gehege geboren worden und deswegen per Gesetz kein echtes Wildtier. Richtet sie Schaden an, kann sie getötet werden. Diese Option kam stärker ins Gespräch, doch vorerst bekam die Fähe eine letzte Gnadenfrist gesetzt. Als Wildtier stünde sie unter dem vollen Schutz des Naturschutzgesetzes, inklusive Artenschutzmaßnahmen. Der BUND erklärte sich solidarisch mit dem grauen Flüchtling: "Im 21. Jahrhundert sollten wir endlich das Rotkäppchen-Syndrom überwinden". Ein Gnadengesuch wurde vom sächsischen Staat abgelehnt.
Nach vorübergehenden Sichtungen in Tschechien, später Oberfranken und Thüringen verschwand das clevere Tier, welches mittlerweile viele Sympathien errungen hatte, von der Bildfläche. Am 19. Januar 2003 endete ihre Flucht in Niedersachsen.
Ein Weidmann hatte einen Rehkadaver, Bärbels letzte Beute, untersucht. Das Tier näherte sich daraufhin aus dem Wald, um die Reste der Mahlzeit zu verteidigen. Dem Jäger war es am hellerlichten Tag auf kurze Entfernung nicht möglich, die Wölfin von einem Hund zu unterscheiden und erschoss das Tier, obwohl bekannt war, dass sich im angrenzenden Wald ein Wolf aufhält. Die Wirkung eines Warnschusses prüfte er nicht. Die dortigen Behörden haben ein Strafverfahren wegen der Tötung eines unter Artenschutz stehenden Tieres eingeleitet. Konnte der ausgebildete Jäger die Arten nicht unterscheiden oder ist die Ähnlichkeit mit Haushunden eine willkommene Ausrede? Niemals hatte Bärbel - die Medien hätten mit Sicherheit darüber berichtet - Erholungssuchende oder Waldarbeiter belästigt. Erst den Weidmann, welcher sich trotz Kenntnis des Wolfsvorkommens, dem Riss offensichtlich inkorrekt genähert hatte, knurrte das Tier an.
Im Gegensatz zu Sachsen hatte man in Niedersachsen den erstmals im November bei Göttingen gesichteten unbekannten Wolf als Wildtier anerkannt. Im Zweifel für den Angeklagten: Da man es nicht besser wusste, galt die Vermutung einem Wildtier. Es wurde entschieden Jagd und Forstbetrieb im hiesigen Bramwald einzuschränken. Anhand eines eingepflanzten Chips konnte das tote Tier jetzt aber zweifelsfrei identifiziert werden. Die Chemnitzer "Freie Presse" stellte deprimiert fest: "Das Jahr, das zum Jahr des Wolfes erklärt wurde, ist gerade 19 Tage alt gewesen."
Ein Insider spricht
Ich fragte einen bekannten zweibeinigen Wanderer aus: Herr Lothar Frey aus Klingenthal war zu seiner täglichen Runde alleine im Wald unterwegs. Als er sich einmal umdrehte sah er Bärbel, die ruhig hinter ihm herlief und friedlich drein schaute. Er wollte mit seinem Handy den Tierpark in Klingenthal anrufen, hatte aber die Nummer nicht und sagte so der Polizei, dass hinter ihm ein Wolf steht und ihn ansieht. Daraufhin kamen mehrere Polizeifahrzeuge mit lautem Tatü tata angefahren. Die Polizei wollte alles großflächig absperren usw. Das hatte jedoch keinen Sinn mehr, da die Außreißerin nur noch einmal kurz alle Polizisten anschaute und dann im Dickicht verschwand. Herr Lothar Frey erinnert sich, dass er sich dann gegen den Polizisten durchsetzen musste, dass er weiter seine Runde im Wald gehen kann. Sie befürchteten, dass der “gefährliche Wolf” wiederkäme.
Ein paar Tage später zeigte sich Bärbel wieder. Diesmal einen Mann, der mit seinem Hunderüden spazieren ging, an dem Bärbel offensichtlich Interesse hatte. Doch der Spaziergänger lehrte der Außreiserin, was es heißt, sich mit Menschen anzulegen und warf lautstark Steine nach ihr. Hierrauf zeigte sie sich ersteinmal nicht mehr. Doch anscheinend glaubte sie immer noch an das Gute im Menschen. Als sie sich auf einer Lichtung zeigte, und dort brav so lange wartete bis der örtliche Tierarzt mit Fangnetz kam, trabte sie erst davon, als das Netz direkt über ihr in den Bäumen hängen blieb. Doch anscheinend hatten die anderen Tierärzte in der Gegend auch wenig Übung im Einfangen mit Wildtieren. Die Fallen mied sie schlau. Und auch ein zweitesmal wäre man ihr fast auf den Leim gegangen, wenn nicht der Plauner Tierfänger die Patronen für das Narkosegewähr vergessen hätte...
Die Köder, die in den von Bärbel getöteten Schafen versteckt waren, hätte sie sicher geschluckt, wenn nicht die ganze Gegend voll mit Schaulustigen gewesen wäre, die unbedingt ein Foto von der schönen Wölfin wollten. Denn die Zeitung hatte einen Tag zuvor davon berichtet. Daraufhin verließ Bärbel das Vogtland und wurde in Tschechien, in Franken und in Thüringen gesichtet. In Niedersachsen tauchte dann ein Wolf auf, den man Puk nannt. Als der Wolf dann von einem Waidmann erschossen wurde, stellte man anhand des Chips, welche bei allen bekannten Wölfen im Ohr eingepflanzt werden, fest, dass es sich um Bärbel handelte.
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